von Benjamin Franz-
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Bei Zahnweh zum Henker.

Cham`s Gesundheitswesen, zwisch- en Aderlass und Pestbekämpfung. Stadtarchivar Timo Bullemer spannt mit seinem Lichtbildvortrag im gut besetzten Langhaussaal einen Bogen vom Baderwesen bis zum Kreiskrank- enhaus. 170 Besucher erlebten 60 in- formative und heitere Minuten. „Hat einer Zähn-Schmerzen so verordne sie man solle von dem Galgen einen Splitter herab schneiden und die Zähn

 

Kräuterfrauen

Timo Bullemer
Petra Jakobi
         
damit stieren.“ Zahnstocher aus Gal- genholz waren um 1600 der Renner. Das Kerngeschäft der Henker und Scharfrichter, die Kunden für alle Ewigkeit von weltlichen Gebrechen zu erlösen, haben die wenigsten aber freiwillig in Anspruch genommen. Die so genannten „unehrlichen Berufe“, zu denen auch das Handwerk des Abdeckers gehörte, vermochten mit der wundersamen Wirkung von Ge- hängtenkleidung, Strickresten oder eben Galgenholz das eigene Image etwas aufzupolieren. Placebo würde man heute dazu sagen, aber wer heilt hat immer recht. Was menschliche oder tierische Anatomie betraf dürfte diese Zunft auch ein beträchtliches Wissen angehäuft haben, das sie zu Konkurrenten der Bader machte. Ti- mo Bullemer zitierte eine Beschwer- de aus dem Baderstand die beklagte, dass ein Bauer aus Obertraubenbach beim Scharfrichter in Regensburg um Heilung ersuchte, statt sich vom orts- ansässigen Bader kurieren zu lassen.

Welch wohltuende Wirkung Kamille, Wermut, Königskerzen, Tausendgul- denkraut und allerlei weitere Gewäch- se entfalten können, war Sache der heilkundige Hebammen und Kräuter- frauen. In der Bevölkerung hoch an- gesehen durch ein immenses Wis- sen, das meist mündlich von Gener- ation zu Generation weitergegeben wurde, barg dieses aber auch die Ge- fahr als Hexe bezichtigt zu werden. Krankheiten galten lange als böser Fluch oder Strafe für einen liederlich- en Lebenswandel. Ob die zwei mit Kräutern befassten hübschen Mägde, die kurzzeitig auf die Bühne im Lang- haussaal traten, mit dunklen Kräften in Verbindung stehen, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Der gesamten Aufmerksamkeit konnten sich die beiden aber sicher sein, als sie mit

 
einem Kräuterlied die Zuschauer be- zauberten. Dem Stadtarchivar Timo Bullemer bescherte das musikalische Intermezzo von Lisa Burkart und Ka- tharina Schiedermeier ein willkom- mene Pause. Ein überlieferter Rat- schlag, der es gerade mal vor 170 Jahre in ein handschriftliches Rezept- buch geschafft hat, empfiehlt bei Ma- genweh, Vergiftung und Mundfäule:
„Fange eine große Kröte, spieße sie auf und lasse sie in der Sonne trock- nen – auf eine Geschwulst gelegt, vergeht diese und zieht das Gift an sich. Man gebrauche sie auch zur Zeit der Pest, wo sie im Zimmer auf gehangen wird. Verstehe sich jeder Hauswirt damit.“ Aber nicht alles war Humbug. Vom Aderlass konnte man, wenn auch nur bei wenigen Krank- heitsbildern, tatsächlich Linderung erwarten. Wund-, Schmerz- und Frak- turbehandlung, Schröpfen, wehe Zäh- ne ziehen, sowie Haar- und Körper- pflege war das tägliche Brot des Ba- ders.

Durch eine ärztliche Kommission er- hielten Bader die Zulassung. Eine Ba- destube in Cham wird bereits 1312 erwähnt. In der „Letz“ ein einstiger Stadtteil am Regen zwischen Biertor und Cordonhaus. Männer wie Frauen stiegen nicht nackt in die Holzzuber und eine detaillierte Badeordnung mussten die Gäste einhalten. Trotz- dem kamen immer wieder Gerüchte über sittenlose Auswüchse auf, die ein schlechtes Licht auf die Bader- zunft warfen. 1634 wütet zum ersten Mal die Pest in Cham. Man zählt 3500 Opfer, deutlich mehr als Ein- wohnerzahl, was darauf schließen lässt, dass sich viele Flüchtlinge und Soldaten in der Stadt aufgehalten haben. Pandemie-Massenimpfungen waren ebenso unbekannt wie das Wissen um die Ursachen. Ratschlä-

 
ge wie: „Hüte Dich vor, Hunger, Er- müdung, Früchten, Frauen und Bläh- ungen.“, zeigen nur die Hilflosigkeit der Menschen zur damaligen Zeit auf, die Heil in der Flucht, „Geh schnell weit weg und komm langsam wieder zurück.“ für sich erhofften. Am Ende seines Vortrags zitiert der Stadtarch- ivar Timo Bullemer noch einen Cha- mer Mediziner, der feststellte, dass zur Zeit der Pest die Bader so rar und von großer Bezahlung waren, dass bald ein Doktor um geringeres Geld zu haben sei, als solch liederliche Bartscherer. Das war das Stichwort für Hans Höcherl der prompt im his- torischen Bader-Outfit in den Lang- haussaal stürmte, um solch schänd- liche, verleumderisches Rede per- sönlich klarzustellen. Während er mit einer Laterne durch die Reihen zog, musste so mancher von ihm eine er- schütternde Diagnose hinnehmen.Der Vortrag des Stadtarchivars, mit den Schauspieleinlagen wurde mit viel Ap- plaus bedacht.

Die Veranstaltung im Langhaussaal ist der Auftakt zur neuen Stadtführ- ungsreihe, die sich mit Bader, Pest und anderen Plagen befasst. Premie- re ist am 3. Dezember. Weitere Ter- mine 21. und 28. Januar